Kritiken – Theaterkahn Dresden https://www.theaterkahn.de/blog Neues vor und hinter dem Vorhang der Brettl-Bühne Sun, 03 Jun 2018 12:03:22 +0000 de hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.3.18 „Einer spinnt immer“ https://www.theaterkahn.de/blog/2018/einer-spinnt-immer/ Wed, 14 Feb 2018 13:19:40 +0000 http://www.theaterkahn.de/blog/?p=807 Das Stück „Einer spinnt immer“ sorgt derzeit auf dem Dresdner Theaterkahn für große Unterhaltung. Dabei zeigen die Darsteller Rose Vischer, Tom Quaas und Felix C. Voigt, dass Clowns unterschätzt werden. Doch auch das Publikum ist gefordert.

Rose Vischer, Tom Quaas und Felix C. Voigt als „Clowns“ in der Inszenierung von Renat Safiullin
Foto: Carsten Nüssler

Von Gabriele Gorgas, Dresdner Neueste Nachrichten, 07. Februar 2018

So ein wenig Ausruhen vom Trubel der Ereignisse, das wünscht sich doch jeder. Und nichts ist in den Künsten so kompliziert, wie mit Leichtigkeit, einer gewissen Noblesse und Gewitztheit auch noch unterhaltend zu sein. Was sich am Elbufer speziell das Dresdner Brettl auf dem Theaterkahn, wo man selbst in kalten Tagen warm, trocken und bestens aufgehoben ist, längst auf die Fahnen geschrieben hat. Die jüngste Uraufführung mit Rose Vischer, Tom Quaas und Felix C. Voigt als „Clowns“ in der Inszenierung von Renat Safiullin sorgt dabei für eine Art wohliges Gefühl, wo Kopf und Sinne frei sind für ein Genießen, Mitdenken, Nachdenken und vor allem auch für das Staunen.

Wer könnte das wohl besser hervorzaubern als eben Clowns, die entgegen mancher Redewendung wahrhaft keine bloßen Spaßmacher sind. Und schon gar nicht solche, wo man den Verstand getrost an der Garderobe mit abgeben kann. Die wahren Clowns – egal in welcher Szenerie – haben etwas unbeschreiblich Kostbares zu bieten, diese enorm schwierig zu handhabende Leichtigkeit. Und jene, die sich jetzt dafür mit wirren Haaren und grotesker Aufmachung zusammengerauft haben, kennen sich bestens und sind auch dem Publikum längst bekannt. Zum Beispiel von Quaas-Produktionen wie „Faust ohne Worte“ oder „Beethoven ohne Musik“. Sämtlich eigenwillige Schauspieler. Mit der Besonderheit, eben auch Clowns sein zu können.

Zu Beginn steht Tom Quaas auf der kleinen Brettl-Bühne mit Seil und Schlinge, legt sich diese um den Hals, erwägt das Mögliche. Doch da ist kein Balken. Und als er seine Strippen zieht, hat er zwei weitere Unglücksraben in Schlingen eingefangen, und alle drei schauen nun ratlos-sinnend in die Runde. Was tun? Und wie? Und warum? Wer weiß das schon so genau. Doch ihnen ist an diesem Abend reichlich viel dazu eingefallen, gemeinsam mit Regisseur Renat Safiullin, der auch zu den Quaas-Bündnissen gehört. Gewissermaßen eine weitgreifend kunterbunt-begabte Seilschaft, die sich schon wiederholt aus Schwierigkeiten herausgehievt hat. Wie ja überhaupt die Existenz freischaffender Bühnenkünstler, Regisseure und dergleichen mehr stets mannigfache Risiken in sich birgt. Das ahnt und weiß man spätestens dann, wenn sie bei dieser Uraufführung in ihre leeren Hosentaschen nach dem letzten Franc abtauchen, um ihn in eine der absurden Wetten einzubringen.

Manche dieser Clowns-Geschichten kennt man schon. Es sind alte und neue, bekannte und unbekannte. Und das Trio erzählt sie auf eigene Weise, lässt dabei Luftballons aufsteigen, verwandelt sich in Windeseile, stolpert, stolpert immer wieder… Natürlich voraussehbar, aber dennoch überraschend. Und zudem sind diese Gestalten auch noch sangesfreudig, dass es zum Dahinschmelzen ist.

Der vieldeutige Untertitel zu „Clowns“ ist übrigens bestens gewählt: Einer spinnt immer. Denn so ist es tatsächlich. Kaum endet der Faden einer Geschichte, wird der nächste auch schon angeknüpft. Und sie alle, Safiullin nicht minder, sind ausgewiesene „Spinnmeister“. Dabei ist das Ganze so miteinander verwoben, dass jeder seine Trümpfe auch voll ausspielen kann, ohne dabei den anderen in die Quere zu kommen, ihnen die Show zu stehlen.

Tom Quaas, der als August mit Kugelaugen unschuldig in die Welt schaut und ebenso tonangebend mächtig auftrumpfen kann, spielt hinreißend jene Story von der schlafwandelnden Frau des anderen, deren nächtliche Beute der Gatte am nächsten Tag jeweils den Betroffenen zurückbringt. Wunderbar diese Treppennummer und Pointe, das hintergründig-treuherzige Wiederholen der Standardformulierungen. „Wie man sich doch täuschen kann!“

Die Schweizerin Rose Vischer, ganz offenbar auch erprobt als Seiltänzerin, bekommt beispielsweise ihren Spieluhr-Schwanenauftritt und erweist sich als beherzte Chansonette. An die Piaf muss man sich ja erstmal herantrauen können, wollen, dürfen. Und zudem noch dieser unglaubliche Felix C. Voigt, der schon immer mal zu überraschen wusste. Während die beiden anderen dem aufgemotzten „Radio-Koffer“ diverse Klänge und Ansagen zu entlocken suchen, wagt Voigt die wahnwitzige Unmöglichkeit, dem Schnarren, Zwitschern, Poltern, Säuseln seine Stimme zu verleihen. Das gelingt ihm großartig. Und markant singen kann er übrigens auch noch.

Was rundum darauf verweist, dass das eben keine Clowns mit gewissen Sprechqualitäten, sondern ausgefuchste, erfahrene, besondere Schauspieler sind mit einer großen Bandbreite an Fähigkeiten. Ob sich die Besucher an diesem Premierenabend auch wahrhaft amüsiert haben? Natürlich! Zumindest die Mehrzahl. Vielleicht nicht immer zur gleichen Zeit und an gleicher Stelle, aber doch ganz offensichtlich. Und das mal laut, mal leise, manchmal eher vorausschauend, dann wieder rückblickend. Zudem mussten ja alle auch die Rätsel mit lösen. Das kann schon herausfordernd sein. Zum Beispiel die Frage: ist nicht mein Bruder und ist nicht meine Schwester, aber das Kind von meinem Vater und meiner Mutter. Wer ist das? Sie haben es uns verraten. Glücklicherweise. Und damit fängt dann auch immer die eigentliche Geschichte an. Einer spinnt immer. Weiter und weiter.

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Sinnlich-geistvoller Theaterabend https://www.theaterkahn.de/blog/2017/frau-stein/ Thu, 07 Sep 2017 10:43:19 +0000 http://www.theaterkahn.de/blog/?p=796 Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ von Peter Hacks auf dem Theaterkahn weiß sich rundum und spürbar ganz besonders zu behaupten.]]> Anika Mauer im „Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ auf dem Theaterkahn


© Iko Freese / drama-berlin.de

Von Gabriele Gorgas, Dresdner Neueste Nachrichten vom 4. September 2017

Ein großartiger Theatertext, eine wunderbare Schauspielerin und zudem noch eine Regisseurin, die das Gespür für Sprache, Spiel, Atmosphäre absolut im Blut hat. Was braucht es überhaupt noch mehr, um einen sinnlich-geistvollen Theaterabend zu inszenieren, der im Gedächtnis bleiben kann, wird, muss. Und das, obwohl sich da längst schon Aufführungen ebenso mit anderen eingenistet haben. Doch diese jüngste Erfahrung mit dem Stück „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ von Peter Hacks auf dem Theaterkahn weiß sich rundum und spürbar ganz besonders zu behaupten.

Während sie in Berlin schon bestens bekannt und geehrt ist, dürfte die Begegnung mit der Schauspielerin Anika Mauer für das Publikum in Dresden wohl eher neu sein. Worauf sich getrost aber auch jene freuen können, die das 1976 in Dresden uraufgeführte „Gespräch“ noch mit Traute Richter in der Inszenierung von Klaus Dieter Kirst erlebt haben. Oder in neuerer Zeit mit Barbara Schnitzler in dieser Rolle (Regie: Helfried Schöbel) am Hoftheater von Rolf Hoppe.

Anika Mauer spielt als Frau von Stein gekonnt wie auch variationsreich alle Raffinessen des Weiblichen aus. Um so als geschmähtes, verfluchtes und dennoch heiß geliebtes „Schattenbild“ ihrer selbst den abwesenden Herrn von Goethe im fiktiven, so oder so zu deutenden „Zwie-Gespräch“ auferstehen zu lassen.

Mit Charlotte von Stein nimmt er Gestalt an, dieser Gigant der Dichter in seinem komplizierten und zugleich literarisch ertragreichen Liebesverhalten, und Hacks jongliert das genüsslich aus mit Worten und zuweilen auch recht konkreten Anspielungen, zelebriert geradezu die Schwachstellen im Wesen und Verhalten des 1786 nach zehn Jahren offiziell-inoffizieller Gemeinsamkeit nach Italien Entflohenen. Frau von Stein leidet und hofft: „Ich allein weiß, in welchem Maße ich gescheitert bin“. Die Goethe-Forschung hat dazu noch einige Varianten mehr anzubieten, und manche halten dieses Verhältnis gar für ein groß angelegtes Täuschungsmanöver am Weimarer Hof.

Wie auch immer. Wir profitieren jetzt auf eigene Dichter-Weise von dem geheimnisvollen Geschehen, und solch gewitzte Sprachkabriolen im Theater, das vermisst man doch beileibe viel zu oft auf den heutigen Schauspielbühnen. Es ist auch wahrhaft kein Zufall, dass justament der Theaterkahn dafür ein passendes Podium auf schwankendem Untergrund bietet. Und liebevoll wie im Detail gewitzt ist auch die Bühnengestaltung von Horst Vogelgesang. Zudem hat die Kostümbildnerin Petra Frey für diese Frau eine sympathische stoffliche Mixtur aus Vergangenheit und Gegenwart geschaffen, die die Jahrhunderte problemlos überbrückt, zumal es auch Anika Mauer überzeugend gelingt, jegliche Zeitbarriere im freien Fabulieren zu überwinden.

Dazu kommt als Regisseurin Johanna Schall, die vor vielen Jahren bereits auf dem Theaterkahn inszenierte; sie hat bei dieser Koproduktion mit dem Renaissance- Theater Berlin das Feingefühl und die Kraft eingebracht, mit der außergewöhnlichen Schauspielerin so zu arbeiten, dass wir Charlotte von Stein weniger entrückt und distanziert, eher irdisch und ewigweiblich erleben, die auch gewitzt und behutsam sein kann, wütend, direkt, verletzt und verletzend. Und man erahnt einmal mehr dieses ewiglich schwankende Glück und Elend der menschlichen Natur. Es ist wie eine Offenbarung, wenn sie zum Schluss ganz leise und ratlos fragt: „Warum ist alles für uns alle so sehr viel zu schwer“.

Der Hacks-Monolog, so besagt übrigens das Informationsblatt vom Theaterkahn, wurde mit der Uraufführung in Dresden „ein sensationeller Erfolg und das Stück wenig später weltberühmt. Marcel Reich-Ranicki nahm es in den Kanon der 42 Stücke auf, die man gesehen haben sollte. Nun, zum 275. Geburtstag der historischen Charlotte von Stein, kehrt es nach Dresden zurück.“

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Vereinsamt hadernd mit einem verhassten Instrument https://www.theaterkahn.de/blog/2017/kontrabass/ Sat, 02 Sep 2017 10:19:17 +0000 http://www.theaterkahn.de/blog/?p=793 Der Kontrabaß“ von Patrick Süskind]]> Peter Kube spielt in „Der Kontrabaß“ von Patrick Süskind auf dem Dresdner Theaterkahn

Von Christian Ruf, Dresdner Neueste Nachrichten vom 28. August 2017

Nein, er ist nicht neidisch, er hat nur einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn – und der sagt ihm, dass etwas gewaltig schiefgelaufen ist bei ihm im Leben. „Können Sie mir sagen, wieso ein Mann meines Alters mit einem Instrument zusammenlebt, das ihn permanent behindert?“, wendet er sich fragend ans Publikum, aber das bleibt stumm. Das Instrument, das ihn behindert, ist ein Kontrabass. Und es hängt in Holger Böhmes Inszenierung von Patrick Süskinds populärem Theatermonolog an der Decke – es schwebt wie ein Damoklesschwert über Peter Kube, der den einsamen, verbitterten Künstler spielt. 13 Jahre ist das jetzt her, dass Friedrich-Wilhelm Junge zuletzt den mäßig begabten Musiker gab, der sein Instrument und seinen Beruf aus tiefster Seele verabscheut – Zeit also für eine Neuinterpretation auf dem Theaterkahn. Die Zimmerebene wie auch das Fenster sind schief wie expressionistische Ufa-Filmkulissen aus alten Stummfilmzeiten (Bühne: Carsten Nüssler), man könnte es als Sinnbild für die Schieflastigkeit des Lebens dieses Kontrabassisten sehen.

Anfangs hatte das namenlose Tutti-Schwein, das aus Rache wie aus einem Anfall von Aufbegehren heraus im Konzert gern auch mal ein paar Noten unterschlägt (wie es überhaupt gängige Praxis im Graben ist, am „maßlos überschätzten“ Dirigenten „vorbei oder über hinweg zu spielen“), ja noch die Vorzüge des Kontrabasses gepriesen und die eigene Unersetzbarkeit im Orchester betont. Dann aber werden die anfänglichen Lobreden auf das sperrige Instrument immer widersprüchlicher und schlagen schließlich ins Gegenteil um: Es ist der pure Hass, der sich – geschuldet vielleicht auch dem zunehmendem Bierkonsum (der Griff zur Flasche erfolgt natürlich nur wegen des „Flüssigkeitsverlusts“) – Bahn bricht. Jedenfalls, was den Kontrabass angeht. Aber auch was die tiefen Gefühle und erotischen Fantasien betrifft, die die wesentlich jüngere Sopranistin Sarah in ihm wecken, macht sich der zutiefst gefrustete Musikus Luft, der davon überzeugt ist, dass er nicht so schlecht aussieht, wie er spielt.

Es sind nicht zuletzt die vielen kleinen Spitzen auf den Orchester- und Opernbetrieb („im Orchester gibt es keine Hoffnung, … gehen Sie nie in ein Orchester!“) sowie die Attacken auf zwei Säulenheilige des Bildungsbürgertums, die dem Stück seinen Reiz verleihen. Mozart? Überschätzt! Wagner? Dessen Partituren strotzen doch nur so von Fehlern und Ungereimtheiten! Zweimal fällt auch der Name Christian Thielemann, womit Kube und Regisseur Holger Böhme dem Dirigenten zwar einerseits Reverenz erweisen, andererseits aber auch lästern, schon weil Kube mit einem imaginären Taktstock fuchtelnd den Dirigenten bei der ersten Nennung als „Gastluftverteiler“ apostrophiert.

Kube kostet die tragische Komik des Stückes voll aus, begeht erfreulicherweise nicht den Fehler, dem Affen allzu viel Zucker zu geben. Nur ein oder zweimal verfällt er in Zwingertrio-Manier darauf, die erste Reihe durch den Kakao zu ziehen. Alles in allem gelingt es ihm gut, mit Tempi und Dynamik des Stücks geschickt und routiniert spielend, eine an sich eher unsympathische Figur so liebevoll zu zeichnen, dass man nicht umhin kann, sie verständnisvoll ins Herz zu schließen, einfach weil man sich in all den un(aus)gelebten Träumen wiedererkennt, auch wenn man eher nicht verzweifelt und vereinsamt ist.

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Von der mangelnden Kraft der Worte https://www.theaterkahn.de/blog/2016/fisch-zu-viert/ Wed, 30 Nov 2016 09:59:42 +0000 http://www.theaterkahn.de/blog/?p=770 Theaterkahn-Stammregisseur Peter Kube, seit drei Jahren zugleich Oberspielleiter der Landesbühnen Sachsen hat, wenige Tage übrigens vor seinem 60. Geburtstag, die erste Koproduktion der beiden Theater erfolgversprechend zur Premiere gebracht. Am Elbufer unterhalb der Katholischen Hofkirche, wie er gelegentlich zu sagen pflegt, gibt es Fisch, nicht nur im Restaurant Kahnaletto, sondern nebenan auch „zu viert“, absolut tödlich und hinreichend witzig serviert von Tom Quaas, mit Cornelia Kaupert, Anke Teickner und Sandra Maria Huimann nach Anleitung von Wolfgang Kohlhaase und Rita Zimmer.

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Wolfang Kohlhaases tiefschwarze Komödie „Fisch zu viert“ auf dem Theaterkahn

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In „Fisch zu viert“ dreht sich alles um Habgier und List: Tom Quaas, Sandra Maria Huimann, Anke Teickner und Cornelia Kaupert (v.l.). // Foto: Carsten Nüssler

Von Tomas Petzold, Dresdner Neueste Nachrichten vom 29. November 2016, Seite 8

Theaterkahn-Stammregisseur Peter Kube, seit drei Jahren zugleich Oberspielleiter der Landesbühnen Sachsen hat, wenige Tage übrigens vor seinem 60. Geburtstag, die erste Koproduktion der beiden Theater erfolgversprechend zur Premiere gebracht. Am Elbufer unterhalb der Katholischen Hofkirche, wie er gelegentlich zu sagen pflegt, gibt es Fisch, nicht nur im Restaurant Kahnaletto, sondern nebenan auch „zu viert“, absolut tödlich und hinreichend witzig serviert von Tom Quaas, mit Cornelia Kaupert, Anke Teickner und Sandra Maria Huimann nach Anleitung von Wolfgang Kohlhaase und Rita Zimmer. Die vielleicht schwärzeste aller „englischen“ Komödien (die Wirkung stellt sich möglicherweise erst nach Stunden ein) ist in Wahrheit ein deutsches Lust- und Trauerspiel, wurde 1968 erstmals aufgeführt fürs Radio unter dem Titel „Fisch zu viert – ein Moritatenbericht über eine höchst beklagenswerte Affäre im Jahre 1838 sowie im Märkischen bei Neuruppin“, wo man seinerzeit noch Arsen als Rattengift in der Apotheke kaufen konnte. Eine Hommage an Fontane, eine Parodie der bürgerlichen Komödie, in der die Gerechtigkeit in einem unerwartet allgemeinen Sinne siegt, ein Frustbewältigungsstück vielleicht auch, das nach einem gestoppten Defa-Filmprojekt folgte, ein trojanisches Pferdchen, historisch aufgesattelt, in dem menschliche Urinstinkte brodeln.

Ratten, wird Diener Rudolf behaupten, Ratten gebe es nicht in diesem Jahr im Sommerhaus der drei Schwestern Charlotte, Cäcilie und Clementine. Gerade so erreicht hat er es, schnaufend unter der Last dreier Lederköfferchen, in äußerst korrekter Dienstkleidung, aber schlecht rasiert, ersichtlich von Erkältung gezeichnet. Auch insgesamt fühlt er sich am Ende „nach zwanzig Jahren universeller Tätigkeit“, deren intimere Seiten jede der drei Schwestern fälschlicherweise allein zu genießen glaubt. Nun aber ist auch noch die Köchin erkrankt und er soll deren Job zusätzlich übernehmen, zu allem Überfluss Fisch für die Damen kochen, Fisch, den er so hasst…

Erstmal aber verschwindet er nicht in der Küche, sondern in Clementines Zimmer, hinter der Garten-Fototapete, mit der Tom Böhm den nicht einsehbaren Tatortbereich abgegrenzt hat. Da rumpelt es ordentlich und nur mit knapper Not entkommt Rudolf auf den einsehbaren, spärlich mit Gartenmöbel ausgestatteten Schauplatz, zwei Wandschränkchen nicht zu vergessen, hier die Hausapotheke, da der nur für Rudolf bestimmte Likör. Nach vollbrachter Dienstleistung ist Clementine (Huimann) die erste, der Rudolf seinen Ausbruchs- und Weltreisewunsch beichtet, den er sich durch vorzeitige Inanspruchnahme des ihm versprochenen Erbes erfüllen möchte. Freilich, ganz allein, ohne die vermeintlich einzige Geliebte, was natürlich jedwedes Entgegenkommen zunichte macht. Für die anderen „Fräuleins“ und deren bevorzugte Liebesspiele fehlt es offenbar schon an Lust und/oder Manneskraft, ansonsten läuft es ganz ähnlich: Der Frust ist gegenseitig, die jeweils folgende Erpressung mit allgemeiner Enthüllung ebenso einseitig wie unbedacht. Denn Wände und Ohren sind äußerst hellhörig, dass nicht nur eine im Rausch von Rudolfs Walzer und seiner Vision des glutroten Sonnenuntergang von Neapel schwelgte, kann in der angespannten Situation nicht verborgen bleiben.

Die dramaturgische Grundkonstellation der Handlung scheint freilich mit den Jahren der Aufführungspraxis ziemlich verschoben: In den Besetzungen des viel gespielten Stücks wurden aus ältlichen Scheinjungfern handfeste Weibsbilder im besten Alter, die Diener hingegen immer klappriger, so dass der Gedanke, sie könnten ihre jeweiligen Herrschaften beerben, eigentlich immer absurder erscheinen muss.

Kubes Inszenierung hält da noch die Mitte, denn Quaas‘ Rudolf ist so zäh wie eloquent, lässt sein Temperament mit jedem Fünkchen Hoffnung geradezu aufflammen. Etwas derb, aber sehr differenziert und präzise in seinem körperlichen Spiel, über den pointierten komplizierten Wendungen des Textes stehend, freilich nur in Ansätzen, in unvermittelten Wendungen mal preußisch stramm. Den Damen geht das Preußische, das anmaßend Bürgerliche, die aufgetragene Distanz zum Domestiken weitgehend ab, sie zitieren das alles nur noch und haben es damit eher schwerer, eine glaubhafte Fiktion zu erzeugen. Auch Verjüngung geht auf Kosten von Profil, hin zum Klischee einer als ausgestorben geltenden Spezies von Frauen, die nur heimlich Befriedigung finden können oder dürfen. Clementine (Huimann) erscheint als manierierte, fast noch jugendliche Nymphomanin die gefährlichste, Cäcilie (Teickner) mit ihrem Kavallerie- und Offizierstick die nervigste, ansonsten eher Durchschnitt, Charlotte (Kaupert) als praktische, resolute Geschäftsfrau am gegenwärtigsten, obwohl oder weil sie hier längst nicht mehr alles souverän im Griff hat. Zur Not geht sie aus rein praktischen Gründen über Leichen, stellt sich freilich so plump an, dass Rudolf eine vermeintlich glänzende Idee kommt – die ihn, der alles so schön eingefädelt hat, am Ende im Übermut selber zu Fall bringt. Da hilft es auch nichts, wenn man sich in später Einsicht gegenseitig versichert, alles sei nur Spaß gewesen. Die Macht guter Worte versagt. Wechselnde Leidenschaften, unkontrollierte Bedürfnisse, die unbedingte Verachtung der jeweils anderen sozialen Stellung oder Schicht ergeben ein Gift, das letztlich zur simultanen Wirkung von Arsen und verdorbenem Fisch führt. Rudolfs letzte Reise führt vom Lichtschalter bis zum Vorhang, den er mit letzter Kraft zuzieht.

Viel Beifall für einen straff gefassten, unterhaltsamen Theatergenuss mit vielleicht etwas längerem Abgang.

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Der Feind, der Freund https://www.theaterkahn.de/blog/2016/lothar-geist/ Wed, 10 Feb 2016 14:22:56 +0000 http://www.theaterkahn.de/blog/?p=700

Uraufführung „Lothar und der große Geist“ mit Tom Pauls und Jörg Schüttauf auf dem Theaterkahn. - Eine Komödie – aber eine mit sehr ernsten Untertönen, eine, die einem ins Gewissen redet, bei der einem das Lachen gelegentlich sogar im Halse stecken bleibt. ]]>
Uraufführung „Lothar und der große Geist“ mit Tom Pauls und Jörg Schüttauf auf dem Theaterkahn

Könnten kaum gegensätzlicher sein, sind sich aber ähnlicher, als sie glauben: Lothar (Tom Pauls, l.) und Lothar (Jörg Schüttauf).

Von Christian Ruf, Dresdner Neueste Nachrichten vom 08. Februar 2016, Seite 9

„Großer Geist, steh mir bei, dass ich über keinen Menschen urteile, bevor ich nicht einen halben Mond in seinen Mokkasinns gegangen bin.“ So steht es geschrieben. Gleich auf Seite Zwo des Programmheftes zum Stück „Lothar und der große Geist“, das jetzt auf dem Theaterkahn seine Uraufführung erlebte. Kluger und deshalb gern zitierter, weil ganz auf die endlose Tiefe alter Indianerweisheit bauender Spruch – bleibt zu hoffen, dass er nicht eine ähnliche Fälschung ist, wie die gern zitierte und von der Öko-Bewegung gar als eine Art fünftes Evangelium erachtete Rede des Häuptlings Seattle (eigentlich Seeath), der Sätze wie „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werden die Menschen feststellen, dass man Geld nicht essen kann“ nie gesagt hat.

„Lothar und der große Geist“ ist eine Komödie – aber eine mit sehr ernsten Untertönen, eine, die einem ins Gewissen redet, bei der einem das Lachen gelegentlich sogar im Halse stecken bleibt. Verfasst wurde das Werk von Holger Böhme und der hat es auch in Szene gesetzt. Das Bühnenbild ist simpel, aber mehr als ein Tipi, wie es bei den Reitervölkern der Great Plains in Gebrauch war, braucht es nicht an Kulisse. Die Handlung spielt nicht im Wilden Westen der USA, sondern in dem von Ostdeutschland, wo die Begeisterung für Indianer eine lange Tradition hat, genährt durch die Romane Karl Mays oder einschlägige sozialistisch-korrekte Indianer-Filme mit Gojko Mitic als stets edlem Krieger. Und an gelernten DDR-Bürgern, die gegen alle politischen Widerstände verkleidet den Traum von Freiheit und Abenteuer träumten, war bekanntlich kein Mangel. Relikte dieser Fan-Kultur leben noch, Otto Normalbürger hat nicht zuletzt dann Kontakt mit ihr, wenn in Radebeul die Karl-May-Festtage über die Bühne gehen.

Lothar (Tom Pauls) ist einer, der der Sache treu geblieben ist, einen auf Häuptling Sitting Bull macht und nun von dem Neuen im Verein zu hören bekommt, dass seine Gesichtsbemalung nicht stimmt. Und überhaupt: Wer ihn anschaue, sehe nicht Sitting Bull, „sondern einen kleinen dicken Mann, der sich verkleidet hat“. Der Neue, das „Greenhorn“, heißt auch Lothar (gespielt wird er von Jörg Schüttauf und des besseren Verständnisses ab sofort Lothar II genannt), ist – ausgerechnet – als US-Kavallerist verkleidet (allerdings trägt er nicht die bekannte blaue Uniform, sondern die erst kurz vor 1900 eingeführte braune) und legt eine Art an den Tag, dass Lothar I seinen Namensvetter recht bald wissen lässt: „Ich will ja nichts sagen, aber wenn ich irgendwo neu bin, da wird von mir erwartet, dass ich erstmal die kleine Trommel nehme und erstmal sehe, wie es hier läuft“.

Lothar II wurde zwar in Hohenstein-Ernstthal geboren, kommt aber de facto aus Hannover und ist also das, was der Ostdeutsche oft, vor allem im Ärger oder Zorn, pauschal und verächtlich „Wessi“ nennt. Als Lothar II nach einer Weile sogar mal sächselt, fühlt sich Lothar I veräppelt, so wie er schon vorher aus der Haut fuhr, als er „Rothaut“ als Vorwurf interpretierte, er sei eine rote Socke gewesen. Eine Form des Widerstands sei die Traditionspflege der Wildwest-Fans gewesen.

Aber zum Glück ist „Lothar und der große Geist“ mitnichten eine der typischen 0815-Ost-West-„,Komödien“, die von Feindbildern und Klischees leben und Vorurteile und Opfer-Haltungen bedienen. Lothar I und Lothar II mögen auf den ersten Blick in verschiedenen Lagern stehen, aber sie kommen sich – beim Bier – näher. Und merken rasch, dass der andere auch nur ein Mensch ist – und zwar einer mit Problemen. Lothar II ist die Frau weggelaufen, er hadert immer noch mit dem verstorbenen Vater, der kein guter Vater war, und die Tatsache, dass er Polizist ist, macht ihn auch nicht gerade beliebt. Lothar I, den Lothar II irgendwann auffordert, „Du bist als Feind mein einziger Freund. Sei ehrlich!“, hingegen hat auch Ärger, allen voran mit dem (aus seiner Sicht) Vollversager von Sohn, dem jetzt Anklage, ja sogar Knast droht, weil er auf einer Demo einen Stein schmiss und einen Polizisten verletzte.

Der Abend verhandelt ernste Themen, etwa wenn er andeutet, wie Polizisten in Einsätzen regelrecht verheizt werden und gar nicht anders können, als sich im Stich gelassen zu fühlen. Böhmes Werk trägt aber das Etikett „Komödie“ letztlich verdient, wartet es doch an den richtigen Stellen auch mit vielen hübschen Witzen auf, bei denen die Dosierung bei der Kombination aus Froh- und Tiefsinn einfach stimmt. Etwa wenn Lothar II verärgert wie belustigt ob der es mit der Wirklichkeit nicht genau nehmenden Traditionspflege in diesem Indianer-Verein darauf beharrt: „Ein Spiel ist nur dann ein gutes Spiel, wenn man es ernst nimmt.“ Oder wenn Lothar I beteuert: „Karl May ist kein Schwindel, Karl May ist … äh, … Fantasie.“

Und auch schauspielerisch gibt es nüscht zu meckern. Im Gegenteil. Pauls’ hinreißende Begabung fürs Komische zu würdigen, hieße Eulen nach Athen tragen. Aber er kann auch ernste Töne anschlagen, eigentlich ist er sogar noch besser, wenn er mal das Fischelante á la Bähnert außen vor lässt und den sich selbst entlarvenden Kleinbürger gibt, der schon mal grantelt: „Wir müssen eine Kultur verteidigen, das Entstehen von Parallelgesellschaften verhindern.“ Aparte Idee: Pauls bemüht nicht tiefsächsischen Dialekt, sondern befleißigt sich jenes Idioms, wie es mit rollendem R in Teilen der Oberlausitz noch fröhliche Urständ feiert. Schüttauf gibt seinen Lothar als sehr äußerlich abgeklärten, innerlich aber verletzten Menschen, der im Gegensatz zu Lothar I sein Herz nicht auf der Zunge trägt, aber eigentlich genau dies ganz gern würde.

Lothar I wie II sind hilfsbedürftig. Und sie werden einander helfen, nachdem sie schwere, auch innere Kämpfe ausgefochten und ihre Vorurteile abgelegt haben. Und dafür war es nicht mal nötig, einen halben Mond in den zwar weichen, aber wahrscheinlich auch nicht gerade angenehm duftenden, weil abgelatschten Mokassins den anderen zu laufen.

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