Anika Mauer im „Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ auf dem Theaterkahn
© Iko Freese / drama-berlin.de
Von Gabriele Gorgas, Dresdner Neueste Nachrichten vom 4. September 2017
Ein großartiger Theatertext, eine wunderbare Schauspielerin und zudem noch eine Regisseurin, die das Gespür für Sprache, Spiel, Atmosphäre absolut im Blut hat. Was braucht es überhaupt noch mehr, um einen sinnlich-geistvollen Theaterabend zu inszenieren, der im Gedächtnis bleiben kann, wird, muss. Und das, obwohl sich da längst schon Aufführungen ebenso mit anderen eingenistet haben. Doch diese jüngste Erfahrung mit dem Stück „Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe“ von Peter Hacks auf dem Theaterkahn weiß sich rundum und spürbar ganz besonders zu behaupten.
Während sie in Berlin schon bestens bekannt und geehrt ist, dürfte die Begegnung mit der Schauspielerin Anika Mauer für das Publikum in Dresden wohl eher neu sein. Worauf sich getrost aber auch jene freuen können, die das 1976 in Dresden uraufgeführte „Gespräch“ noch mit Traute Richter in der Inszenierung von Klaus Dieter Kirst erlebt haben. Oder in neuerer Zeit mit Barbara Schnitzler in dieser Rolle (Regie: Helfried Schöbel) am Hoftheater von Rolf Hoppe.
Anika Mauer spielt als Frau von Stein gekonnt wie auch variationsreich alle Raffinessen des Weiblichen aus. Um so als geschmähtes, verfluchtes und dennoch heiß geliebtes „Schattenbild“ ihrer selbst den abwesenden Herrn von Goethe im fiktiven, so oder so zu deutenden „Zwie-Gespräch“ auferstehen zu lassen.
Mit Charlotte von Stein nimmt er Gestalt an, dieser Gigant der Dichter in seinem komplizierten und zugleich literarisch ertragreichen Liebesverhalten, und Hacks jongliert das genüsslich aus mit Worten und zuweilen auch recht konkreten Anspielungen, zelebriert geradezu die Schwachstellen im Wesen und Verhalten des 1786 nach zehn Jahren offiziell-inoffizieller Gemeinsamkeit nach Italien Entflohenen. Frau von Stein leidet und hofft: „Ich allein weiß, in welchem Maße ich gescheitert bin“. Die Goethe-Forschung hat dazu noch einige Varianten mehr anzubieten, und manche halten dieses Verhältnis gar für ein groß angelegtes Täuschungsmanöver am Weimarer Hof.
Wie auch immer. Wir profitieren jetzt auf eigene Dichter-Weise von dem geheimnisvollen Geschehen, und solch gewitzte Sprachkabriolen im Theater, das vermisst man doch beileibe viel zu oft auf den heutigen Schauspielbühnen. Es ist auch wahrhaft kein Zufall, dass justament der Theaterkahn dafür ein passendes Podium auf schwankendem Untergrund bietet. Und liebevoll wie im Detail gewitzt ist auch die Bühnengestaltung von Horst Vogelgesang. Zudem hat die Kostümbildnerin Petra Frey für diese Frau eine sympathische stoffliche Mixtur aus Vergangenheit und Gegenwart geschaffen, die die Jahrhunderte problemlos überbrückt, zumal es auch Anika Mauer überzeugend gelingt, jegliche Zeitbarriere im freien Fabulieren zu überwinden.
Dazu kommt als Regisseurin Johanna Schall, die vor vielen Jahren bereits auf dem Theaterkahn inszenierte; sie hat bei dieser Koproduktion mit dem Renaissance- Theater Berlin das Feingefühl und die Kraft eingebracht, mit der außergewöhnlichen Schauspielerin so zu arbeiten, dass wir Charlotte von Stein weniger entrückt und distanziert, eher irdisch und ewigweiblich erleben, die auch gewitzt und behutsam sein kann, wütend, direkt, verletzt und verletzend. Und man erahnt einmal mehr dieses ewiglich schwankende Glück und Elend der menschlichen Natur. Es ist wie eine Offenbarung, wenn sie zum Schluss ganz leise und ratlos fragt: „Warum ist alles für uns alle so sehr viel zu schwer“.
Der Hacks-Monolog, so besagt übrigens das Informationsblatt vom Theaterkahn, wurde mit der Uraufführung in Dresden „ein sensationeller Erfolg und das Stück wenig später weltberühmt. Marcel Reich-Ranicki nahm es in den Kanon der 42 Stücke auf, die man gesehen haben sollte. Nun, zum 275. Geburtstag der historischen Charlotte von Stein, kehrt es nach Dresden zurück.“