Manager in Nöten bei der Uraufführung von Holger Böhmes Stück „Gib alles“ auf dem Theaterkahn
Die Dresdner Neueste Nachrichten schreiben am 18.02.2014 auf Seite 11:
Bis vor ein paar Jahren wusste man noch nicht, wie man das schreibt, mittlerweile haben es viele und noch mehr könnten sich vorstellen, es sich ebenfalls zu holen: Burn-out. Vielleicht führt zu viel Hyperaktivität zu Burnout. Das wird man bestimmt bald herausfinden. Viele, die dachten, sie litten an ADS, DSDS, ADAC oder Laktose-Intoleranz, gingen mit dem Zeitgeist und sattelten um auf Burn-out. Wichtig ist, dass es Tabletten dagegen gibt.
Auch die drei Männer und die eine Frau in dem Stück „Gib alles“, das auf dem Dresdner Theaterkahn seine Uraufführung erlebte, scheinen Burn-out zu haben. Friederike, Paul, Christof und Bodo sind vier Spitzenmanager (doch, solche gibt’s) eines global operierenden Unternehmens und sitzen nun in einem den Charme einer Bunkeranlage ausstrahlenden Wartezimmer eines Psychologen. Es geht um Versorgungs- oder auch Schadensersatzansprüche an die Firma. Problem eins: Der Arzt ist nicht da. Problem zwei: Die Tür ist zu. Problem drei: Handyempfang ist nicht, was nicht nur für Manager das Worst-Case-Szenario ist. Und so sind die alles andere als fantastischen Vier dazu verdammt, miteinander irgendwie klarzukommen. Bald geht es zu wie in der „Geschlossenen Gesellschaft“ von Jean-Paul Sartre: Einer ist die Hölle des anderen in dieser unfreiwilligen Viererbande. Verstärkt wird das noch dadurch, dass es nur drei Stühle im Raum gibt, es immer wieder notgedrungen zu einem Reise-nach-Jerusalem-Spielchen kommt.
Und bald steht in diesem Stück von Holger Böhme, der hier auch gleich Regie führte, ein Verdacht im Raum: Ist einer von ihnen Dr. Stressmann, der als Maulwurf im Auftrag der Firma ein perfides psychologisches Spiel spielt? Ist also Friederike (Gundula Köster), die es anfangs am schlimmsten erwischt zu haben scheint, die so verhuscht und mit hängenden Schultern dasitzt, Miss Undercover? Soll man es ihr abkaufen, dass sie es mit 39 Jahren weder zu einem Mann noch zu einem Kind gebracht hat?
Oder ist vielleicht doch Paul (Olaf Burmeister), der so gutmütig und bieder wirkt und krampfhaft seine Aktenmappe umklammert wie andere ihren Rollator beim Ausflug, dieser Dr. Stressmann?
Oder könnte es Christof (Thomas Förster) sein, dessen Frau nur solange an seiner Seite zu finden war, bis die guten Zeiten zu Ende waren?
Oder doch Bodo (Thomas Stecher), ein Ekelpaket, aber mit messerscharfem Verstand und bestechender Rhetorik gesegnet? Aufs Geld verzichten? Er doch nicht. Die Welt steht einem nur mit Geld offen, „Frau Welt macht es nämlich nicht umsonst“, ist nur eine der unbequemen Wahrheiten, die er verinnerlicht hat. Oder ist alles Zufall? Der Glaube an finstere Mächte, die für alles Böse in der Welt verantwortlich sind, könnte ja auch Folge der Sehnsucht nach der Existenz solcher finsteren Mächte sein.
Böhme stellt in seinem Stück die Frage: Ist es das System, das die Leute krank macht? Gehören zum System nicht wir alle, und wie stark haben wir dessen Regeln verinnerlicht, die wir womöglich auch noch selbst aufgestellt haben? Lügen tun wir alle jedenfalls täglich, um des lieben häuslichen Friedens willen oder um das Betriebsklima nicht zu gefährden. Insofern ist also ein pointierter Satz wie „In einem System, in dem prinzipiell gelogen wird, spielt es keine Rolle, ob man die Wahrheit sagt“ zwar einerseits nicht wirklich falsch, aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Trau, schau, wem! Das ist hier nicht anders. Am Ende ist es nicht nur einer, der nicht der war, der er zu sein vorgab.
Böhmes Stück ist ein genauer Blick auf die Zustände einer Gesellschaft, passend in eine Zeit, in der sich einerseits moralinsaure Abmahner tummeln, die etwa Fleischesser für verkappte Faschisten halten, es zeitweise aber auch Tendenzen unter Politikern gab, mit seelischer Verwundbarkeit öffentliche Sympathiepunkte zu ernten. Wer ein Faible für starke, geschliffene Sätze hat, kommt ungemein auf seine Kosten. Beeindruckend werden dank Böhmes meist bissiger, selten aufgesetzt witziger Formulierungskunst Missstände, Neurosen und sonstige Befindlichkeiten des Zwischenmenschlichen wie allgemein Gesellschaftlichen zur schönsten Sprachblüte gebracht. Nur der Witz „Wagner(musik) macht mir ein bisschen Angst, ich habe dann das Gefühl, in den Krieg ziehen zu müssen“ fällt etwas ab.
Die Schauspieler sind ohne Wenn und Aber allesamt famos, Primus inter Pares ist aber Thomas Stecher. Seine Figur Bodo ist ein böser Zyniker, aber nicht alle Attacken des sarkastischen Stänkerers kann man als nichtig abtun. Böhme konnte für diese stimmige Regiearbeit auf dasselbe Darsteller-Quartett zurückgreifen, mit dem er 2007 schon die „Grönholm-Methode“ auf dem Kahn inszenierte. Böhmes Kammerspiel wurde inspiriert von dem gefeierten Werk des Katalanen Jordi Galceran, ist aber mehr als nur eine Fortsetzung mit anderen Mitteln, sondern von ganz eigenem Reiz. Und insofern sei Holger Böhme gewünscht, dass das Stück noch vielerorts auf die Bühne gebracht wird. Verdient hätten es Autor und Werk.
Christian Ruf | DNN, 18.02.2014, Seite 11